Angespielt – Villen des Wahnsinns 2

 

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Bildquelle: Heidelberger Spieleverlag

Wir begeben uns wieder einmal auf Lovecrafts Spuren. Wie bei allen Eldritch/Arkham-Spielen aus dem Hause FFG treten wir einem namenlosen Grauen entgegen, wollen irgendwelche mysteriösen Kulte oder Dämonen aufhalten, und werden dabei natürlich wahnsinnig oder sterben.

Doch diesmal müssen wir uns auch den Tücken der modernen Technologie stellen, denn was hier vorliegt, kann man wirklich nur noch bedingt ein Brettspiel nennen.


Wie funktioniert das?

Spielregeln und Setting sind annähernd dieselben wie immer, etwa in Eldritch Horror: Wir wählen ein Szenario und unsere Ermittler, wir spielen kooperativ gegen das Böse. Jeder macht seine zwei Aktionen, dann ist das Böse dran. Aber anders als im Vorgängerspiel mit dem selben Titel, in dem ein echter Mensch den Antagonisten oder Overlord mimen musste, haben Fantasy Flight Games für die zweite Edition eine App mitgeliefert, die so gut wie alles übernimmt: Sie sagt uns, welche Räume wir aufbauen sollen, wo dann welche Hinweise, Gegenstände, Personen und Monster auftauchen, wie wir mit denen interagieren können und was wir würfeln müssen.

Die Spieler verlieren, falls einer von ihnen ausscheidet, oder wenn die App sagt, dass wir verloren haben. Wie gewinnen wir? Keine Ahnung. Die genauen Szenarioregeln sind nicht offen. Wir wissen nur ungefähr, was wir zu tun haben, müssen uns alle Details im Laufe der Partie selbst erarbeiten.

…und damit fällt die Regelbeschreibung auch heute wieder sehr kurz aus.

Man verzeihe mir, dass ich im folgenden fast ausschließlich über diese App schreiben werde. Denn das ist kein Brettspiel mit App-Unterstützung, sondern ein Computerspiel mit einer gewissen haptischen Komponente.


Das Spiel mit der App

Was kann ein Computerspiel, was ein Brettspiel nicht leisten wird, abgesehen von Grafikeffekten und Action?

  • Last abnehmen: Im Hintergrund rechnen, buchhalten, auswerten. Beliebig „kleinteilig“ sein, weil der Spieler das nicht merkt und nicht leisten muss.
  • Regeln geheim halten oder ändern: Dass ein Monster plötzlich die Richtung ändert, ist nur dann eine Überraschung, wenn ich die Regeln dazu nicht schon vorher gelesen habe.
  • Mehr Inhalte bieten: Heutzutage kann man ein Computerspiel mit Text- und Informationsmengen vollstopfen, die ein Brettspiel niemals vertragen wird, ohne Tausende von Karten zu beinhalten.

Kurz: Für mich läuft das auf Brute Force gegen Eleganz und Verschlankung hinaus. Wenn ich nicht selbst rechnen muss, ist es egal, wie kompliziert die Formeln und Algorithmen sind. Im Brettspiel dagegen will ich dasselbe Spielgefühl, nur „in clever“.

Kurioserweise haben sich die Macher von VdW2 dazu entschieden, in der App keinen dieser Vorteile zu nutzen.

Wie sieht das dann im Spiel aus?

Die App sagt mir, sobald ich zu einer Tür hinausschaue, dass ich ein Spielplanteil namens „Dunkle Gasse 2 “ anlegen und ein paar Marker mit Fragezeichen darauf legen soll, das sind irgendwelche Dinge, mit denen ich interagieren kann. Das dauert dann seine Zeit, diverse Spielplanteile wollen gesichtet werden, bis das passende gefunden wurde, Marker werden rausgekramt, der Spielfluss völlig abgetötet.

Und wenn ich dann meine Figur auf dem Spielfeld zum Fragezeichen stelle, findet das auch wieder nicht auf dem Brett statt, sondern ich klicke in der App auf das passende Fragezeichen. Sie sagt dann sowas wie „Du wühlst in einer Mülltonne“, ich soll meine Würfel werfen. Wieviele Würfel das sind, muss ich wieder selbst rausfinden, indem ich meine Charakterkarte und meine Gegenstände anschaue. Dann würfle ich, tippe das Ergebnis in die App ein, worauf dann folgt, dass ich eine Karte mit dem Titel „Ritualdolch“ bekomme. Die ich dann aus dem umfangreichen Stapel popeln darf, und mir in der Zukunft merken darf, dass ich dieses Ding besitze. Sehr förderlich für die Immersion.

In einem Computerspiel hätte ich einfach eine Tür angeklickt, wäre hinausgelaufen, hätte auf eine Mülltonne geklickt und einen Dolch bekommen, der irgendwie von nun an meine Fähigkeiten verbessert hätte. In fünf Sekunden. Hier sind es eher fünf Minuten.

Und: Spielplan oder Miniaturen wären dafür eigentlich völlig unnötig. Die brauchen wir nur noch, weil die App unvollständig programmiert ist: Sie hat keine Ahnung, wer an der Reihe ist, wie gesund wir gerade sind oder wie wir unsere Beute verteilt haben. Auch für die Monster gibt sie nur ungefähre Anweisungen, wie die sich bewegen sollen. Wo die oder wir stehen, scheint sie nur bedingt zu interessieren. Genausowenig, ob wir schummeln wie die Verrückten. Sie hindert mich nicht daran, meine theoretisch möglichen Würfelerfolge zehnfach einzutippen, oder hundert Aktionen zu machen anstatt der erlaubten zwei.

Das auch noch zu integrieren, wäre vermutlich kein Problem gewesen, aber dann könnte ich wirklich alles physische Material weglassen. Was dann herausgekommen wäre: ein ziemlich langweiliges Computerspiel mit äußerst unspektakulärer Grafik, generischer Storyline und einer Benutzerfreundlichkeit von vor-vorgestern.

Es ist wirklich sträflich vorhersehbar: Auch wenn es nirgendwo steht, wir verstehen sofort, dass alle Proben in der Regel zwei Erfolge fordern, damit etwas nützliches passiert. Die Monster machen immer dasselbe. Gerade die geskripteten bewegen sich in schon fast grotesker Vorhersehbarkeit. Die Story fordert, alle Orte auf dem Plan abzuklappern. Was wir da finden, ist fast egal, wichtig ist nur, dass wir es gefunden haben. Da ist kein Krimi, kein Horror, kein Spiel drin.


Wertung

Was macht ein Spiel spannend? Entweder es erzählt mir eine schöne Geschichte. Oder es fordert mich mechanisch. Hier fehlt leider beides. Diese 2. Edition fühlt sich an, als wäre sie äußerst voreilig auf den Markt geworfen worden.

Die Interaktion mit der App fühlt sich hohl und unpraktisch an, und sie kostet viel zu viel Zeit. Und das Gerippe eines Spiels, das dann noch auf dem Brett stattfindet, führt schmerzhaft vor Augen, wie trivial das Genre Dungeon Crawler eigentlich ist.

Warum Eldritch Horror dennoch mein Lieblingsspiel ist, und das hier so gar nicht, bedarf wohl eines eigenen Artikels.


Stichpunktartig noch kurz:

Materialqualität: Die Miniaturen sind okay, aber nicht spektakulär. Ein bisschen unsauber gegossen, mit extrem hässlichen Bases. Der Rest ist gewohnt hochwertig.

App Qualität: Mittelmäßig bis unterdurchschnittlich. Die Texte werden anfangs noch von einem durchaus stimmungsvollen Erzähler vorgelesen, das hört aber schnell auf. Die Benutzerfreundlichkeit ist gruselig. Wir klicken andauernd hin und her, selbst mit Touchscreen auf einem Tablet eher lästig, auf einem Smartphone oder PC würde ich das Spiel nichtmal mit der Kneifzange anfassen. Besonders ärgerlich fand ich auch, dass die Texte regelrelevante Schlüsselwörter beinhalten, diese aber nicht farblich oder sonstwie hervorgehoben sind, und dass wir keinen Knopf für „zurück“ finden konnten, falls mal jemand eine Information verpasst oder ein Textfenster zu schnell wegklickt wurde.

Spieleranzahl: Kurios. Es skalieren die Lebenspunkte der Monster, es müssen aber immer noch alle Orte abgeklappert werden, was mit mehr Spielern natürlich wesentlich einfacher vonstatten geht.

Spieldauer: Bestenfalls geschönt. Die Zeitangabe 90-120 Minuten kann getrost verdoppelt werden.

Wiederspielbarkeit: Gefühlt eher begrenzt. Es gibt nur wenige Szenarien, und die App variiert sie nur bedingt, etwa, in welcher Mülltonne der Revolver dieses mal herumliegt. Weitere Szenarien sollen folgen, allerdings als kostenpflichtiger Download.

2 Gedanken zu “Angespielt – Villen des Wahnsinns 2

  1. Hallo Peter! Erstmal danke für deine Meinung. In zwei Punkten muss ich aber doch wiedersprechen:

    1) Dass die App bedienunfreundlích ist, stimmt einfach nicht. Insbesondere die PC Version ist sehr elegant und performant. Wir spielen mittllerweile immer so, dass am Kopfende des Tisches ein schöner 19 Zoll Monitor steht & unterm Tisch ein PC auf dem die App läuft. Alle sehen die Karte, die Abläufe sind klar und übersichtlich.

    2)
    Was den Grad der Führung durch die App angeht hast du im Prinzip recht: Spiel und App sind eher lose gekoppelt. Aber diese Einsparung hat einen enormen Vorteil: sie hält die Kosten für Entwicklung und Test der App im Rahmen und reduziert ebenso die Fehlerwahrscheinlichkeit. Ich bin selbst Softwareenwickler und bin mir sehr sicher: Wäre die App mit dem von dir gewünschtem Interaktionsgrad umgesetzte, dann wäre:
    – Das Spiel erheblich teurer
    – Die Anzahl Szenarien viel geringer
    – Die Anzahl an Bugs in der App höher.

    Die App ist nicht perfekt und du hast recht: Die Beliebigkeit vieler Durchsuchungsaktionen („Du findest einen Dolch“, „Du findest einen Hinweismarker“) nervt und könnte besser sein. Das liegt aber nicht in der App selbst sonder im spezifischen Szenario. Aber die App macht aus einem unhandlichen Spiel ein handliches. Ich besitze selbst auch das alte VdW1 und das war m.E: nicht spielbar. Aufbaudauer >30 Minuten, maximal 3 von 5 Szenarien spielbar, extrem anfällig gegen Aufbaufehler. Da ist VdW2 erheblich besser.

    Bei uns Mittwochsspielern ist VdW2 jedenfalls ein echter Erfolg. Wir haben bislang alle Szenarien gespielt, manche schon 2 oder 3 mal. Vor allem unsere Söhne (14-16) sind schwer begeistert und haben sogar schon Freunde zum mitmachen gewonnen, die sonst keine Brettspiele anfassen.

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    • Freut mich, dass du das magst. Vielleicht geht da auch einfach nur der Spieldesigner mit mir durch, ich fand es alles einfach sehr „unelegant“, auch wenn es erheblich zugänglicher und reibungsloser ist als VdW1.

      Der hier drückt es ganz gut aus: https://www.youtube.com/watch?v=Sci-MctxWJc

      Zu 1: Ich meine damit sowas, wie dass 3 Spieler nacheinander auf Monster -> Spezielles Monster -> Horrortest klicken, und dann ihren Text lesen müssen.
      Oder das angesprochene Nicht-Highlighten von Keywords wie benommen oder betäubt. Oder dass die Texte nicht bildschirmfüllend sind, sondern immer noch recht kleinformatig.
      Zu 2: Ich vergleiche das in meiner Besprechung ja eher mit einem 100% Computerspiel. Und das hätte sich dann sicher unter 100€ Verkaufspreis realisieren lassen.

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