Angespielt – The Big Book of Madness

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Bildquelle: Iello Games

Zauberlehrlinge sind wir, nicht allzu talentierte und nicht allzu kluge. Gelangweilt von unseren mäßigen Studienerfolgen schleichen wir uns in die verbotene Bibliothek und öffnen natürlich direkt das verbotenste aller Bücher. Es kommt, wie es kommen muss, ein Haufen schlecht gelaunter Monster entfleucht, und wir müssen über uns hinauswachsen und das Schlamassel wieder aufräumen, bevor wir alle dem Wahnsinn anheim fallen.

The Big Book of Madness ist ein kooperatives Brettspiel mit Deckbuilding Elementen. Es ist momentan nur in Englisch erhältlich, wenn ich es richtig verstanden habe, soll sich das aber demnächst irgendwann ändern.


Wie funktioniert es?

Zunächst einmal gilt es, einen ganzen Haufen Vorbereitungsarbeit zu leisten. Es müssen ungefähr vierzig (!) Kartenstapel durchwühlt, getrennt, gemischt oder vorsortiert werden.

  • Unsere Ressource Mana kommt in den Farben der vier Elemente und in drei Wertigkeiten, das sind schonmal zwölf Kartenstapel.
  • Jeder Spieler klaubt sich seine vier einfachen Zaubersprüche heraus.
  • Obendrauf muss aus zwölf Stapeln von je drei mächtigen Zaubersprüchen das halb zufällige, halb vorsortierte Sortiment gebildet werden, das wir in diesem Spiel erlernen können.
  • Entsprechend der Spieleranzahl wird Wahnsinn abgezählt und bereitgelegt, diese Karten bilden sowohl unsere Lebenspunkte – wir verlieren, wenn dieser Stapel aufgebraucht ist – wie auch Deckverschmutzer – wir werden diese Karten später oft unter unser Mana mischen müssen.
  • Monster bekämpft man, indem man ihre Flüche bannt. Diese kommen aus fünf Stapeln, die wir trennen und mischen müssen.
  • Jeder Spieler sucht sich einen Charakter aus und stellt dessen Startdeck aus verschiedenfarbigem Mana zusammen.
  • Und wir müssen natürlich das titelgebende Buch zusammenstellen: Ziehe zufällig einen von vier Buchdeckeln, fünf aus ungefähr einem Dutzend Monstern und den Buchrücken mit der Bedingung fürs Spielende.

Das sorgt für eine Menge Varianz, wir werden in jedem Spiel mit verschiedenen Charakteren und verschiedenen Sprüchen gegen verschiedene Monster anrennen, aber der Aufbau ist schon extrem fummelig und lästig, das macht man wirklich am besten, bevor die anderen Spieler eintreffen.

Dann wählen wir einen Schwierigkeitsgrad, drei verschiedene werden angeboten, in denen die Monster immer mehr Flüche mitbringen. Außerdem schlägt die Spielregel weitere Hindernisse vor, die man sich selbst in den Weg werfen kann, weniger Startmana, direkt zu Beginn Wahnsinn im Kartendeck und so weiter. Für die ganz Harten eben. 😉

Und dann dürfen wir endlich losspielen.

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Spielbrett mit dem großen Buch und unseren Aufgaben

Wir kämpfen nacheinander gegen sechs Monster, wobei wir nur das letzte davon besiegen müssen, die anderen wollen wir nur besiegen, um Belohnungen statt Bestrafungen zu erhalten. Diese Monster werden immer härter, indem sie mehr Flüche mitbringen, das regelt der Rundenanzeiger links oben.

Wenn ein Spieler an die Reihe kommt, schiebt er den schicken Zuganzeiger aus Holz um ein Feld (1-5) weiter, wir haben also fünf Aktionsphasen lang Zeit, um die Flüche loszuwerden. Erreicht der Zuganzeiger die 1, und wir haben alle Flüche beseitigt, werden wir belohnt, ansonsten entkommt das Monster, und wir werden bestraft. In jedem Fall wird die nächste Seite des Buchs aufgeschlagen, das nächste Monster erscheint mit noch mehr Flüchen, und alles fängt von vorne an.

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Beispiel für Kram, der vor jedem Spieler herumliegt

Der aktive Spieler kann seine Handkarten mit Mana für diverse Aktionen ausgeben.

  • Wahnsinn von seiner Hand heilen, das kostet zwei Mana.
  • Bessere Sprüche kaufen, das sind die mit dem schwarzen Rand.
  • Bessere Manakarten kaufen, die kommen mit zwei oder drei Mana statt einem.
  • Einen Fluch beseitigen, das kostet je nach Fluch vier Mana einer Farbe oder vier verschiedenfarbige Manakarten. Im Idealfall macht man das, bevor der Zuganzeiger den Fluch erreicht, denn sonst gibt’s noch mehr Strafen.
  • Zaubersprüche mit Mana bezahlen.

Die Zaubersprüche übernehmen ungefähr die Rolle der Aktionskarten in Dominion, sie werden aber nicht mit ins Deck gemischt, sondern liegen vor den Spielern aus und werden nach der Benutzung eingedreht – Hallo, Wizards of the Coast, danke nochmal, dass man nicht „tappen“ sagen darf! Im Kartendeck selbst sind nur Manakarten, später leider auch nicht unbedingt wenig Wahnsinn, der dann Optionen blockiert.

So weit ich das überblicken kann, arbeiten die roten Feuersprüche vor allem mit Wahnsinn, sie nutzen, heilen oder zerstören diese Karten. Die blauen Wassersprüche arbeiten mit dem Support, das sind ausgespielte Karten, auf die dann alle Spieler zugreifen dürfen. Die grünen Erdsprüche optimieren Kartendeck und Kartenhand, und die weißen Luftsprüche sorgen für Interaktion, indem etwa Spieler außerhalb der Reihenfolge agieren oder sich gegenseitig Handkarten zur Verfügung stellen können.

Es gilt also, die verschiedenen Sprüche möglichst geschickt einzusetzen. Oder auch gar nicht, oft ist es das beste, die anderen Aktionen zu nutzen. Aber das geschieht natürlich alles in Absprache, das Spiel ist zu 100% kooperativ: „Kann einer von euch den grünen Fluch? Ich hab nur zwei grünes Mana, eins davon kann ich in den Support schieben, und ich kann einen von euch extra drankommen lassen. Hat einer von euch drei grüne Mana? Oder kann einer von euch zwei grüne in den Support schieben?“

Siegbedingung: Wir verlieren, wenn wir das letzte Monster nicht besiegen, oder gar vorzeitig, wenn wir den kompletten Stapel mit dem Wahnsinn zerstört oder in unser Deck gemischt haben. Hat ein Spieler nur Wahnsinn auf der Hand, ist er raus. Es gibt also theoretisch die verpönte Player Elimination, aber in der Praxis kommt das äußerst selten bis nie vor, keine Sorge.


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Bildquelle: Iello Games

Und? Wie ist es?

Grandios. Grandios und sackschwer. Aber ich habe selten so gerne verloren wie hier.

Schwierigkeit: Anfangs schlachten wir uns noch locker-flockig durch die Monster und rüsten gar nebenher noch unsere Sprüche und Ressourcen auf, aber sobald dann einmal etwas schief läuft, sorgt die Spielmechanik dafür, dass wir mächtig ins Schwimmen geraten. Auf einmal ist voller Einsatz nötig, um überhaupt am Leben zu bleiben, und das letzte Monster gerät regelmäßig zur Zitterpartie. Oft genug finden wir uns zu schlecht vorbereitet, und dann verhagelt auch noch das „Handkartenpech“ die letzten Siegaussichten.

Das ist aber super, kooperative Spiele müssen schwer sein, sonst fühlt man sich ja nicht angespornt und herausgefordert. Meine Gewinnquote liegt momentan bei ungefähr 20%, wobei sich vor allem das Spiel zu zweit als sehr herausfordernd erwiesen hat. Zu dritt war etwas mehr Luft zum Atmen, zu viert oder zu fünft muss ich erst noch spielen.

Ich will nichts unterstellen, aber ich habe schon ein wenig das Gefühl, dass der Härtegrad von TBBoM massiv von der Spieleranzahl und schlichtem Glück abhängt. Auch und gerade weil das Spiel manchmal locker runterläuft, und manchmal völlig unmöglich erscheint – das spiegelt sich auch in den Diskussionen auf BGG wider – kommt es mir so vor, als hinge es nicht nur an unseren Fähigkeiten, ob wir durchkommen oder nicht: es entstehen sehr schnell Teufelskreise und Ketten von unglücklichen Ereignissen, aus denen man nicht mehr rauskommt.

Die Charaktere und Zaubersprüche sehen ebenfalls nicht perfekt balanciert aus, ein paar kommen mit sehr nützlichen, ein paar mit eher fragwürdigen Fähigkeiten, deren Nutzen sich mir entweder erst noch erschließen muss, oder sie sind halt einfach schlechter.


Spielmaterial: Das ist wunderschön, ich mag die Illustrationen, die großformatigen Karten für das Buch des Wahnsinns, und auch die äußerst praktische Sortiereinlage fällt positiv auf. Ein paar kleinere Abstriche gibt es hier dennoch:

  • Es gelingt dem Spiel nicht zu 100%, das Thema zu stützen, den Monstern und Flüchen fehlen Namen und Geschichten, und den Sprüchen irgendwelche obskuren Formeln. Es spielt sich dann doch alles recht abstrakt und mechanisch runter.
  • Die Formulierungen sind teilweise nicht allzu eindeutig. Draw up to six cards. Heißt das auf sechs Karten oder bis zu sechs zusätzliche Karten? Ich nehme an, ersteres. Aber sicher bin ich mir nicht.
  • Insbesondere gibt es in der Spielregel einen wichtigen Absatz, der besagt, dass man immer alles anwenden soll, was geht, und was nicht geht, soll man halt ignorieren. Teilweise macht das Sinn, teilweise überhaupt nicht. Zum Beispiel Discard one Madness and draw one card. Wenn ich kein Madness habe, darf ich dann trotzdem ziehen? Wir haben solche Fragen mit Im Zweifelsfall gegen die Spieler geregelt, aber es wäre natürlich schöner, wenn man nichts hausregeln müsste. Vielleicht ist das Spiel auch deshalb so schwer, weil wir es nicht verstehen. 😉
  • Der Aufbau ist schon etwas arg aufwändig, aber das wird durch eine Menge Wiederspielwert belohnt.

Aber das sind nur Kleinigkeiten.

Und die ambivalenten Regeln und Kartentexte gehören hoffentlich bald der Vergangenheit an, ich habe mit Matthieu Bonin von Iello Games kommuniziert, in den nächsten Tagen/Wochen erscheint ein FAQ in englischer Sprache, er bestätigt, dass sich durch die Übersetzung vom Französischen ins Englische einige Unklarheiten eingeschlichen haben.


Zum Kooperativen Spielen an sich:  Das leidet oft unter dem sogenannten Alphaspieler, demjenigen, der am erfahrensten oder lautesten ist und den anderen diktiert, was sie zu tun haben, so dass sie nur noch Kartenhalter, aber keine echten Spieler mehr sind.

Hier habe ich das bisher nicht so wahrgenommen, aber wir haben zur Sicherheit auch mit versteckten Handkarten gespielt, statt einfach alles offen zu legen, was durchaus auch möglich wäre. Das fördert die Diskussion und mindert ein bisschen die Möglichkeit, dass ein Spieler stets alles überblicken und sich zum Leiter aufschwingen kann.

Taktikabsprachen, Optionen durchdiskutieren, Rollen und Aufgaben Verteilen, das ist alles hundertprozentig nötig, um das Spiel zu besiegen, und das macht auch Spaß.

Dennoch, die „Alphaspielergefahr“ bleibt bestehen, und wer kooperative Spiele nicht mag, wird auch hier genug zu meckern finden.


Fazit

Trotz kleinerem Gemecker gefällt mir The Big Book of Madness wunderbar, bisher eine absolut lohnenswerte Anschaffung. Auf meiner Privatskala bin ich trotz Abstrichen bei 10/10, was so viel heißen soll wie Dringendster Wiederspielwunsch: Ich will unbedingt alle Charaktere mit allen Sprüchen gegen alle Schwierigkeitsgrade und alle Monster spielen. Jetzt sofort.


Nachtrag nach einem Dutzend weiterer Partien in einer Woche:

Das Spiel ist vielleicht ein paar Stufen zu variabel/zufällig. Es gibt Partien, in denen die Gruppe stets auf der Welle mitreitet, alles locker wegsteckt und nebenher noch stärker wird. In der nächsten Partie wird man wieder völlig überrollt, weil die Spruchauswahl nicht so recht passt, ekelige Monster mit ekeligen Flüchen gezogen werden, und die Kartenhände auch nicht das machen, was man sich vorgestellt hat. Ich habe „leichte“ Spiele hoffnungslos abgeben müssen, und „schwere“ Spiele widerstandslos durchgerockt. Ohne die Taktik zu ändern, das Spiel ist einfach sehr, sehr willkürlich.

Vielleicht wäre es nicht ganz falsch gewesen, ein bisschen von dieser Willkür wegzunehmen. Dass die Monster ihre eigenen Flüche mitbringen, dass das Zauberdeck den letzten Rest Zufall verliert, irgendwas. Das lässt sich aber vermutlich auch hausregeln.

Nichts desto trotz ist meine Begeisterung ungebrochen. Die Idee des kooperativen Deckbuildings ist einfach wunderbar. Während ich mich in Dominion an einen anderen Ort wünsche, wenn mein blöder Mitspieler drölfzig Aktionen ausführt, hier fiebere ich mit. Wir schaffen das! Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

 

 

 

5 Gedanken zu “Angespielt – The Big Book of Madness

  1. Ein sehr schöner Ersteindruck, vielen Dank für die Einsicht in diesen spannenden Koop-Deckbuilder. Ich bin zuerst durch das Artwork auf das Spiel aufmerksam geworden, welches mir sehr gut gefällt, schön zu wissen, dass es nicht nur ein Blender ist, sondern sich auch gut spielt. Das Spiel soll im Sommer durch den Heidelbär auch auf Deutsch ins Ladenregal kommen, die Verlagswebseite sagt im 2. Quartal – darauf warte ich gerne.

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  2. Wir haben das Spiel aus Schottland mitgebracht und voller Freude unseren Enkeln geschenkt. Sie und ihr Vater haben aber die Flinte ins Korn geschmissen, weil so viel offen bleibt. Manches ist so idiotensicher erklärt, dass man schon unsicher wird, ob man alles verstanden hat, weil es da noch mal erklärt wird und an anderer Stelle fehlen Aussagen.
    Wer oder was bestimmt, wo die Flüche platziert werden? (Wir haben jetzt einfach bei der 2 angefangen, und ich glaube da eine Logik zu erkennen, wenn dann in der 3. Runde auf der vier ein zusätzlicher Fluch kommt.)
    Kann man die Flüche während der ganzen Runde bekämpfen oder nur wenn man auf dem Feld steht?
    (Wir nehmen ersteres an)
    Was heißt das ganze Deck abzulegen? Zählt dazu neben der Hand auch der Support? Und muss man dann noch eine Madnesskarte nehmen (das währe ja eine Doppelbestrafung)
    Wenn man Karten eintauscht (zwei für eine Zweier z.B.) kommen dann alle drei Karten auf den Ablagestapel? (‚Wäre also eine Möglichkeit sein Deck zu vergrößern)

    Dies waren Fragen, die sehr aufgehalten haben. wir sind geduldige und langjährige Brettspieler (von Talisman und Hero Quest bis Yggdrasil, Pandemie usw.. Neulinge können vermutlich damit nichts anfangen,

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    • Ja, die Regeln sind alles andere als ideal. Deck ablegen heißt genau das. Madness kommt immer mit rein, wenn man nachziehen muss, aber nicht kann. Karten kommen nur aus dem deck, wenn man sie aktiv zerstört. Den Rest habt ihr richtig geraten. 😉

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