Angespielt – Twilight Struggle

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Bild von BGG

Wieder einmal ein hochkomplexes Spiel, und der werte Leser darf sich fragen, warum ich nach nur einem Spiel eine Art Review schreiben darf. Hindert mich doch dran! 😉

Twilight Struggle ist das Flaggschiff des Verlags GMT und führte lange Zeit die Rangliste auf Boardgame Geek an, galt also als das beste Spiel aller Zeiten. Es ist eine äußerst thematische Simulation des kalten Krieges, zwei Spieler hauen sich drei bis vier Stunden lang Karten und Würfel um die Ohren, und der Einsatz ist… die Welt.

Abgeschreckt von der gar fürchterlichen Spieldauer habe ich mich lange darum gedrückt, nun war es endlich an der Zeit, als Sowjet nach der Weltherrschaft zu greifen.


Wie funktioniert es?

Twilight Struggles Motor sind diese Ereigniskarten:

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Bild von BGG

Jeder Spieler erhält eine gewisse Anzahl Handkarten, auf denen links oben Aktionspunkte stehen, und unten ein historisches Ereignis, das entweder dem Russen oder dem Amerikaner hilft. Das sind aber keine getrennten Decks, es kann durchaus vorkommen, dass man nur „falsche“ Ereignisse hält.

Beim Ausspielen hilfreicher Ereignisse entscheide ich, ob ich die Aktionspunkte oder das Ereignis sehen will. Ausgespielte gegnerische Ereignisse treten dagegen in jedem Fall ein, ich bekomme die Aktionspunkte, mein Mitspieler das Ereignis.

Die Kunst ist es also, die gegnerischen Ereignisse zu einem Zeitpunkt auszuspielen, an dem sie möglichst wenig Schaden anrichten, als Russe zum Beispiel Russland verliert allen Einfluss im Libanon, aber ich habe eh keinen Einfluss im Libanon. Und bei den eigenen Ereignissen gilt es abzuwägen, ob man diesen starken Einmaleffekt sehen möchte, oder lieber die Aktionspunkte haben will. Oft sind die Ereignisse höllisch gut, werden aber direkt nach dem Ausspielen aus dem Kartenstapel entfernt.

Aktionspunkte und Ereignisse werden in erster Linie für Gebietskontrolle genutzt, um die politische Lage in einem der vielen Länder zu verändern, indem man Einfluss platziert oder entfernt. Um jedes einzelne Land findet eine Art Tauziehen mit Markern statt, und wer ganze Kontinente dominieren kann, erhält satte Siegpunkte in den immer wieder erfolgenden Zwischenwertungen.

Gewinner ist, wer am Ende am meisten Punkte hat, oder wer vorzeitig beim Siegpunkte-Tauziehen die 20 erreicht. Oder wer den anderen dazu bringt, einen Atomkrieg auszulösen. Oder wer Europa dominiert.


Wie fühlt sich das an?

In erster Linie brutal. Twilight Struggle ist ein permanentes In die Fresse. Natürlich nicht physisch, aber ich stehe ohne Atempause unter Druck. Mit so gut wie jeder Aktion stellt mich der Amerikaner vor neue Probleme, dringt in meine Gebiete ein, putscht meine geliebten Diktatoren weg, sichert seine Grenzen ab. Dass ich mit ihm dasselbe mache, fällt mir natürlich gar nicht so sehr auf. Negative Erfahrungen memorisieren sich eben leichter, und gegenerische Züge wirken stärker und unverdienter.

Außerdem fluche ich andauernd darüber, wie viele amerikanische Ereignisse ich auf die Hand bekomme. Eine kann ich ins sogenannte Weltraumprogramm entsorgen, eine kann ich in die nächste Runde schieben, aber dann bleiben immer noch schmerzhaft viele spielerische Vorteile, die ich meinem Mitspieler beim besten Willen nicht gönnen will. Wieder: dass es ihm genauso geht, fällt natürlich nicht auf, die eigenen Ereignisse wirken immer schwächer als die gegnerischen.

Das Spiel ist definitiv nichts für Menschen, die friedlich und in Ruhe spielen wollen.

Von meinem Gemütszustand abgesehen, allzu überfordernd erscheint das Spiel nicht. Klar, es wäre bestimmt von Vorteil, die zig verschiedenen Karten zu kennen, die Entscheidungen sind teilweise recht knifflig und ich mache bestimmt nicht die sinnvollsten Züge, aber ich hatte einen schlimmeren Brain Burner erwartet. Gerade weil das Spiel von GMT stammt, siehe dazu den Absatz in meiner Besprechung von Churchill. Die grundsätzlichen Aktionen sind erstaunlich einfach (lege Marker in ein Land), die Spieltiefe ergibt sich aus den unzähligen Möglichkeiten, welche Länder man denn nun wie beeinflussen will. Und eben aus der Auswahl der Ereignisse. Und selbstverständlich gilt es, die Möglichkeiten des Gegners einzuschätzen und seine Pläne zu erahnen. Also doch überfordernd. 😉

Ich schlug mich wohl erstaunlich gut und bot meinem erfahrenen Mitspieler eine vollständige Partie, die ich nur knapp abgeben musste. Üblich ist wohl eher, dass das Spiel vorzeitig endet, indem ein Spieler in den Atomkrieg gezwungen oder siegpunkttechnisch abgehängt wurde. So durfte ich bis halb vier morgens grübeln. Hätte ich mich doch schlechter geschlagen!


Bewertung

Twilight Struggle fühlt sich grandios an, trotz oder wegen dem permanenten Druck auf die Psyche: Hochstrategisch, ein Dilemma nach dem anderen, ein kräfteaufreibendes Ringen um Macht.

Auch thematisch ist es großartig. Die Ereigniskarten sind nicht nur spielerisch interessant, sie wirken auch noch einigermaßen historisch akkurat. Mit ein paar Ausnahmen, begründet in der minimal eindimensionalen Weltsicht der Amerikaner. Willy Brandt erlaubt dem Russen, sich in Westdeutschland auszubreiten? Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Wandel durch Annäherung ist nicht unbedingt Kommunismus. 😉

Das Spielmaterial ist… nun ja, nennen wir es zweckdienlich. GMT halt. Schön ist anders.

Und ein paar Kleinigkeiten will ich natürlich auch bemängeln:

  • Ich konnte das Würfeln nicht leiden. Auch wenn sich gute und schlechte Würfe über den Spielverlauf hinweg ausgleichen, in einem derart verkopften Spiel finde ich es ein Unding, dass entscheidende Aktionen an sowas wie würfle jetzt eine 4-6 hängen bleiben. Gerade, weil daran oft gruselig viele Siegpunkte hingen. Ich habe gehört, an diesem Punkt scheiden sich ein wenig die Geister, und es würde mich interessieren, ob sich jemand die Mühe gemacht hat, TS würfelfrei umzuschreiben.
  • Ich fand das Defcon Element seltsam. Diese Leiste regelt, ob und wo man die starke Putsch-Aktion wählen darf, ohne den spielbeendenden Atomkrieg auszulösen. Weil die Aktion so stark ist, gibt es meiner Meinung nach nicht den geringsten Grund, sie nicht bis zum Anschlag ausgereizt zu halten.
  • Die Ereigniskarten haben mir zu viele Querverweise. Das ist dann immer thematisch motiviert, man darf die Nato erst spielen, wenn der Marshallplan erfolgt ist oder ähnliches. Die dadurch entstehende Buchhaltung erschien mir ein bisschen überflüssig und unübersichtlich.

In Zahlen wäre ich ungefähr bei 7-8/10. Ich finde es toll und werde es gerne wieder spielen, aber dafür muss dann schon der geeignete Rahmen gegeben sein. Die Spieldauer ist dann doch etwas ausufernd für meinen persönlichen Geschmack.

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