Angespielt – Räuber der Nordsee

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Bildquelle: BGG

In der letzten Spielbox wurden ungefähr drölf Spiele zum Thema Wikinger rezensiert, ich nehme an, das haben die mit Absicht gemacht. Mir reicht ein einzelner Titel, und die Wahl fiel auf Räuber der Nordsee von Shem Phillips. Warum?

  • die Nominierung zum Kennerspiel des Jahres
  • Große, klappernde Metallmünzen!
  • die meiner Meinung nach hübscheste Aufmachung unter den sieben Titeln
  • eine innovative Variation des klassischen Worker Placement
  • eine Spieldauer von ungefähr einer Stunde

Tut mir leid, Uwe Rosenberg, aber ich habe Angst vor deinem Fest für Odin.


Wie funktioniert das?

In der unteren Hälfte des Spielplans, dem Wikingerdorf, setzen wir reihum einen neutralen Arbeiter für eine Aktion ein, dann nehmen wir einen anderen für eine zweite Aktion weg. Das hat zur Folge, dass jede Aktion prinzipiell immer verfügbar ist, aber nicht jede Kombination: Der Rhythmus aus Setzen und Wegnehmen funktioniert natürlich nicht, wenn gerade beide Wunschfelder besetzt oder beide frei sind.

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Spielaufbau, Bildquelle: BGG

Die Aktionen versorgen uns mit Geld, Proviant und hübsch illustrierten Wikingerkarten, die wir entweder gegen Geld in unsere Crew aufnehmen oder für nette bis hundsgemeine Einmalaktionen abwerfen können. Später wird wir hier auch Beute verbraten, um noch mehr Proviant, mehr Kampfkraft, mehr Siegpunkte einzuheimsen.

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Eine Crew aus grimmigen Kriegern. Links oben die Kampfkraft und der Preis zum Anheuern, links unten eine kleine Fähigkeit, rechts unten die alternative Einmalaktion. Ja, die Kartentexte sind winzig, ja, der Font ist hübsch, aber nicht allzu leicht zu lesen. Bildquelle: BGG

Wer sich dazu bereit fühlt, darf seinen Spielzug alternativ in der oberen Hälfte des Spielplans verbringen, die besteht aus den Zielfeldern für unsere Raubzüge. Die sind natürlich auch der Grund, warum wir uns überhaupt im Dorf vorbereiten, je nach Feld wird eine gewisse Menge an Proviant und Wikingern verlangt. Siegpunkte gibt es nur, wenn die mitgebrachten Rabauken genug Kampfkraft zusammenbringen, die Beute ist aber stets sicher. Was es zu holen gibt, wurde zu Spielbeginn per Zufall bestimmt, darunter Vieh, Eisen und Gold. Aber leider auch eine stattliche Anzahl Walküren, die für den glorreichen Tod von Crewmitgliedern stehen. Das bringt zwar ebenfalls Siegpunkte, natürlich, Walhalla und so, aber in erster Linie bremst es die Spieler wieder aus, Verluste wollen ersetzt werden.

Obendrauf ändern die eingesetzten Arbeiter durch Raubzüge ihre Farbe, sie werden tendenziell stärker und schalten dadurch neue Aktionen frei. Das sorgt für zusätzliche Anreize und Probleme beim Worker Placement, denn von nun an schielen wir nicht nur auf die Aktionen selbst, sondern auch auf die verfügbaren Figuren.

Die Raubzüge gestalten sich von unten nach oben zunehmend schwieriger, aber natürlich auch lohnenswerter. Und ist dann irgendwann die oberste Reihe leergeplündert, so endet das Spiel. Es gibt zwei alternative Endbedingungen, die erschienen bisher aber eher unattraktiv bis unerreichbar.


Wie spielt sich das?

Die Regeln an sich sind relativ fix erklärt, es dauert aber ein wenig, bis das eher ungewohnte Spielprinzip Einsetzen, Aktion, Wegnehmen, Aktion verinnerlicht ist. Ist dieser Schritt getan, läuft das Spiel recht flüssig. Aber leider nur flüssig vom Ablauf, nicht vom Takt her, denn es stellt sich schnell heraus, dass wir stets mehr machen wollen, als wir machen dürfen:

Ich könnte bald Plündern fahren, brauche aber noch ein Crewmitglied und einen Proviantmarker. Für das Crewmitglied brauche ich noch ein bisschen Silber. Das sind dann aber drei Aktionen und damit anderthalb Züge, ich stehe also noch zwei Runden im Dorf herum und kann frühestens in drei Runden in See stechen. Ich will aber jetzt, nicht später.

Obendrauf ändern die anderen Spieler andauernd die verfügbaren Aktionen:

So, jetzt brauche ich nur noch Geld, dann kann ich meinen Wikinger ausspielen. Nächste Runde geht’s los. Hey, was macht der da? Warum stellt er seine Figur dort hin? Jetzt geht mein Zug nicht mehr auf. Danke auch! Alle anderen Aktionen sind nutzlos!

Oder später:

Ich habe eine bärenstarke Crew, ich habe ausreichend Proviant, auf geht’s, jetzt überfalle ich ein stärkeres Feld. Moment… ich brauche einen grauen Arbeiter dafür? Na toll, im Dorf gibt es gerade keine grauen Arbeiter. Was nun? Jetzt sitze ich hier dumm rum, und jemand anders bekommt die Beute!

Wir spielen ja eine Art Wettlauf um die Beutefelder. Aber einen Wettlauf mit zusammengebundenen Schnürsenkeln, ständig stolpern wir. So gut wie jeder Spieler am Tisch meckert und flucht in ungefähr jedem einzelnen Spielzug,

  • dass nichts aufgehen will. Irgendwas fehlt immer.
  • dass er zu langsam ist.
  • dass sein geplanter Zug verhagelt wurde, und das noch nichtmal mit Absicht.
  • dass jemand ihm irgendetwas weggenommen hat.
  • dass die falsche Beute ausliegt.
  • dass die Beute ohnehin von Anfang an unfair verteilt wurde.
  • dass er die falsche Figur hält.
  • dass er viel zu viel Zeit braucht, um einen gestorbenen Wikinger zu ersetzen.

Kurz: Das grundlegende Spielgefühl ist negativ.

Ich musste mir und den anderen Spielern stets ins Gedächtnis rufen, dass es allen Spielern so ergeht, dass das schon seine Richtigkeit hat. Aber sich gemeinsam schlecht zu fühlen, ist auch nicht das Gelbe vom Ei, irgendwie blieb die Stimmung bis zum Ende etwas grummelig, und Räuber der Nordsee wurde von meinen Mitspielern als „zwar irgendwie interessant, aber irgendwie auch komisch“ angenommen.


Fazit

Wie geht man damit um? L2P, N00b? Git Gud, frei übersetzt mit Stell dich nicht so an, lern spielen?

Das gestaltet sich ein bisschen schwierig, weil die grundlegende Mechanik eben gerade dafür sorgt, dass wir aus dem Takt geraten müssen, dass wir uns unserem Schicksal ausgesetzt fühlen, weil wir die Züge nicht wirklich planen können.

Ich bin dennoch eher auf der positiven Seite, das Spiel ist so bildhübsch und einladend, und irgendwie werde ich mich schon damit zurechtfinden. Im Zweifelsfall halte ich es mit Conan:

„Sie sagten ihm, er solle sein Schwert wegwerfen und zur Erde zurückkehren. Ha! Für die Erde ist noch genug Zeit im Grab.“

Das ist die richtige Einstellung.

2 Gedanken zu “Angespielt – Räuber der Nordsee

  1. Ich habe es ein paar mal gespielt und finde das Spielgefühl nicht negativ sondern flüssig. Ressourcen- und Zeitverwaltung gibt es auch bei anderen Spielen in ähnlicher Form, das es darüber Interaktion gibt, bewerte ich gegenteiligerweise eher positiv.

    Wenn man negative Punkte finden möchte, dann kann man sich darüber Gedanken machen, wie man an Eisen kommt um die Gunstplättchenstrategie zu fahren, das scheint im Grundspiel nicht ausgewogen zu funktionieren. Auch die Karten sind unterschiedlich stark und mit einer Hand voll 0er und 1er kann man keine sinnvollen Beutezüge auf die hohen Gebäude beginnen (regeltechnisch und strategisch zwar schon, aber man bleibt mit dem Siegpunkt/Aktionen-Quotient hinter Leuten mit einer normalen Party zurück).

    Trotzdem finde ich das Spiel für einen mittleren Anspruch gut spielbar und auch interessant. Gerade weil man sich beeilen muss um nicht zu spät zur Plünderung zu kommen. Und wer weiss, vielleicht war bei den Wikingern auch nicht alles „fair“.

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