
Dumm arbeitet gut, so muss die Grundidee von Euphoria ausgesehen haben.
Willkommen in einer strahlenden Zukunft! Nach einer unbestimmten Apokalypse haben sich die Überlebenden neuen Gesellschaftsordnungen zugewandt. Wir betreten eine dystopische Welt voller Propaganda und Unterdrückung, und setzen unsere Arbeiter ein, um unsere Stellung darin zu verbessern. Nicht die Welt an sich, nur uns selbst, wir haben ein vitales Interesse daran, die Bevölkerung dumm und glücklich zu halten.
Wie funktioniert das?
Euphoria fällt in die Kategorie Worker Placement. Ja, die Arbeiter sind Würfel, und ja, es gibt auch eine Kategorie namens Dice Placement, aber dazu würde ich Euphoria nicht unbedingt rechnen, dafür sind die Augenzahlen beim Würfeleinsatz zu egal.
Wir setzen reihum je einen unserer Arbeiter, werten das Feld aus, und dann ist der nächste dran. Hat ein Spieler keine Arbeiter mehr, darf er beliebig viele zurücknehmen, muss diese dann aber würfeln. Je nachdem, wie dumm seine Arbeiter sind, das wird auf einer Skala festgehalten, darf er dabei eine Zahl von 10-15 nicht überschreiten, sonst rennt ein Arbeiter weg. Würfelt er einen Pasch, darf er in der nächsten Runde zwei Arbeiter einsetzen statt einem. Das machen wir so lange, bis ein Spieler seinen zehnten Stern platziert hat und das Spiel beendet.
Der Spielplan mit seinen zahlreichen Aktionsfeldern ist erstmal überwältigend…

…aber bei genauerem Hinsehen ist er dann doch recht einfach zu lesen. Er ist durch und durch symmetrisch, die hohe Anzahl an Feldern kommt dadurch zustande, dass es 4 kleine und 9 große Rohstoffe und vier spielerunabhängige Fraktionen gibt. Ein Arbeiter kann im wesentlichen:
- gratis kleine Rohstoffe bekommen
- kleine Rohstoffe gegen große eintauschen (Tunnel bauen)
- große Rohstoffe gegen Siegpunkte (Sterne) eintauschen
- kleine Rohstoffe gegen einen neuen Arbeiter (max. 4) eintauschen
- Märkte bauen (Gemeinschaftsprojekt, neue Aktionsfelder für Siegpunkte)
Die Felder haben diverse Sekundärfunktionen, sie verändern die Macht der Fraktionen, machen Arbeiter dümmer und zufriedener oder manchmal halt auch klüger und mürrischer… aber auch das funktioniert größtenteils analog zu den Nachbarfeldern.
Damit wir nicht alle das Gleiche machen, erhält jeder Spieler zu Beginn zwei Rekruten. Diese verleihen kleinere Sonderfähigkeiten, gehören aber in erster Linie einer der vier Fraktionen an, was dem Spieler dann später diverse Vorteile verschafft, z.B. mehr Rohstoffe pro Aktion.
Was ich daran mag
Das Spielmaterial ist qualitativ allererste Sahne. Die wunderschönen Illustrationen orientieren sich grob am Propagandastil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts und an früher Science Fiction und triefen dabei vor Ironie, und auch die Rohstoffsteine sind großartig. Optisch ist das Spiel ein Hochgenuß, und ich fand als großer Fan von 1984 und Brave New World das Thema ohnehin sehr ansprechend.
Die Symbolsprache ist eingängig, die Abläufe sind schnell memorisiert. Man muss zwar ordentlich Arbeit reinstecken, um sich die Regeln anzueignen, aber sobald man sich einmal durch den Wirrwarr an Feldern und Aktionen gekämpft hat, ist Euphoria doch recht simpel zu erklären. Hard to learn, easy to teach oder so.
Keine Blockade, man kann sich nicht gegenseitig Felder verwehren. Ist ein Feld schon besetzt, stellt man sich entweder dazu oder schubst den anderen Würfel zurück zu seinem Besitzer – was diesen freut, denn es erspart ihm eine Rücknahmeaktion. Das ist für mich das Alleinstellungsmerkmal von Euphoria, denn Action Denial findet sich in den meisten Worker Placement Spielen.
Angenehmer Spielfluß. Jeder macht immer nur eine Aktion und kann direkt schon die nächste planen, denn es stehen ja immer alle Felder offen. So spielt man mit sehr geringer Downtime und hat stets die volle Kontrolle.
Was ich nicht mag
Zu viel Gerümpel. Es gibt meiner Meinung nach eigentlich keine Rechtfertigung für die Vielzahl an Rohstoffen, denn wie man sie bekommt und wofür man sie braucht, ist immer sehr ähnlich. Eines der Stretch Goals bei der Kickstarter Kampagne war eine vierte Fraktion mit zusätzlichen Feldern und Rohstoffen, und ich glaube, ich hätte es gerne ohne gespielt. Auch hätte ich gerne aufs Spielmaterial für den fünften und sechsten Spieler verzichtet, zu so vielen würde ich es eh nicht spielen wollen, und dann müsste man nicht Teile des Spielplans mit Pappmarkern blockieren.
Das Thema ist ein bisschen schwach, so richtig kommt es eigentlich nur beim Würfelwurf für die Arbeiter durch: Kluge Arbeiter erkennen, wie furchtbar die Welt ist, und rennen weg. Der Rest ist relativ abstrakte Siegpunktverwaltung. Es gibt zwar eine Reihe von moralischen Dilemmakarten, die das Thema hätten stützen können, etwa Verpfeife einen Freund, oder rette einen Freund. Aber deren Implentierung ist derart lieblos und simpel geschehen, dass ich mich am Kopf kratzen muss: Jeder hat nur eine im ganzen Spiel, und alle Karten sind gleich… und regeltechnisch kein Dilemma.
Dann kommt eine Reihe von unsäglichen Glücksfaktoren. Das Spiel an sich ist halt nicht besonders schwer: Halte deine Arbeiter dumm, manage deine Rohstoffe halbwegs clever und tausche sie relativ linear gegen Siegpunkte ein. Das erfordert nun wirklich nicht allzu viel Hirnschmalz, und das Spiel ist derart überbalanciert, dass man hier kaum Fehler machen kann. Wie gewinnt man dann? Mit simplem Glück, erscheint es mir.
Pasch = Doppelzug. In einem Wettrennen um Siegpunkte einfach so nochmal dran zu sein, ist ein unglaublicher Vorteil. Ich habe im zweiten Spiel mal festgehalten, wer wie viele Paschs gewürfelt hat, und die Anzahl korrespondierte leider recht gut mit den erzielten Siegpunkten.
Zufällige Rohstoffkarten. Der Großteil der großen Rohstoffe kommt in Form von Artefaktkarten daher. Davon gibt es sechs verschiedene, und man kann die im Lauf des Spiels gegen Siegpunkte tauschen, entweder mehrere beliebige, oder genau eine spezielle. Mehrfach die richtige Karte zu ziehen, spart eine nicht unerhebliche Zahl an Aktionen, und wieder hat der Spieler dafür eigentlich nichts getan.
Zufällige Fraktionszugehörigkeit. Die Rekruten an sich sind nicht das Problem, ihre Fähigkeiten sind zwar nicht unbedingt balanciert, aber doch eher situativ, sie werden nur selten eingesetzt. Aber wenn mehrere Spieler zufälligerweise einen Rekruten aus dem selben Haus gewählt haben, gerät der Unbeteiligte schnell ins Hintertreffen, weil die anderen zusammen natürlich wesentlich schneller Fraktionsvorteile freispielen. Auch kann es ein riesiger Vorteil sein, glücklicherweise einen zweiten Rekruten aus dem selben Haus gezogen zu haben.
Fazit
Ich mag das Thema. Ich mag die hohe Materialqualität. Ich mag, wie die Felder verzahnt sind, ich mag das Spieltempo und den Würfelmechanismus für die dummen oder wegrennenden Arbeiter.
Aber die Nachteile überwiegen für mich. Der hohe Einfluss des Zufalls hinterlässt einen äußerst negativen Beigeschmack, in einem Spiel dieser Komplexitätsstufe möchte ich eigentlich gewinnen, weil ich kluge Entscheidungen getroffen habe, und nicht, weil ich ein paar Mal glücklich gezogen oder gewürfelt habe.
Daher wird das Spiel bei mir erstmal nicht mehr auf dem Tisch landen. In Zahlen ist das ungefähr eine enttäuschte 4-5/10. Viel verschenktes Potential.
Hat dies auf Mittwochsspielen rebloggt und kommentierte:
Mit Scythe steht ein weiteres Stonemaier Spiel vor der Tür. Grund genug, einen Blick auf ältere Titel zu werfen. Peter Rustemeyer hat sich „Euphoria“ angenommen und dabei den Nagel auf den Kopf getroffen.
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[…] Das ist ein Prinzip, das dem Autor sehr zu gefallen scheint, es findet sich zum Beispiel auch in Euphoria. Man kann es vereinfacht umschreiben mit „Mach Dinge, damit du Dinge gemacht hast.“ […]
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[…] Das ist ein Prinzip, das dem Autor sehr zu gefallen scheint, es findet sich zum Beispiel auch in Euphoria. Man kann es vereinfacht umschreiben mit „Mach Dinge, damit du Dinge gemacht hast.“ […]
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